Rituelle Körperhaltungen und Salutogenese

Rituelle Körperhaltungen und Salutogenese (von Ulf Leonhard)

Im Folgenden versuche ich darzustellen, wie sich das traditionelle spirituelle Werkzeug der rituellen Körperhaltungen in ein modernes medizinisches Konzept einfügt.
Oder wie ein modernes medizinisches Konzept auf altes Wissen aufbaut.
Manches dabei ist unvollständig oder gedanklich noch nicht ausgereift. Für mich war das Schreiben inspirierend und ich hoffe, dass etwas von dem Funken überspringt und eigene Recherchen anregt.

Was ist Salutogenese?

Der israelisch – amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky prägte in den 70er Jahren den Begriff Salutogenese (Entstehung von Gesundheit) und fragte: „Warum bleibt jemand gesund?
Er stand damit im Gegensatz, aber auch in Ergänzung zur traditionellen Medizin, die nach der Pathogenese, der Entstehung von Krankheit forscht.
Schatzsuche statt Fehlerfahndung!
Im Sinne der Salutogenese richtet man sich auf attraktive Gesundheitsziele aus und kümmert sich um entsprechende Potenziale und Ressourcen. Damit wird Gesundheit zu einem Prozess, in dem die soziale und kulturelle Einbindung eine wichtige Rolle spielt.
Der Arzt Theodor Dierk Petzold aus Bad Gandersheim, den Petra und ich nach unserem Institutstreffen im Juni besuchten, erwähnt auch die Bedeutung der globalen Zusammenhänge für den Gesundungsprozess.
Er hat die Salutogenese weiterentwickelt und bringt in Anlehnung an die Chaostheorie den „Attraktor“ mit in Spiel.
„Gesund ist kein fixer Zustand, sondern ein ständiger Vorgang, eine ständige Entwicklung eines Menschen auf einen attraktiven Idealzustand von Gesundheit hin. … Wir fühlen uns gesund, wenn wir uns diesem inneren Attraktor nahe, bzw. auf dem Weg in seine Richtung fühlen.“

Kohärenz

Antonovsky stellt das „Kohärenzgefühl“ in den Mittelpunkt seines Konzeptes, eine stimmige Verbundenheit mit dem Innen und Aussen.
Es besteht im Wesentlichen aus 3 Faktoren:
• Die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen
• Die Überzeugung, dass man das eigene Leben gestalten kann
• Der Glaube, dass das sinnvoll ist.
Je höher das Kohärenzgefühl eines Menschen ist, desto besser kann er mit Stressfaktoren und Anforderungen umgehen und daran in Richtung Gesundheit wachsen.

C.M. Schneider hat aus Antonovsky`s Theorie 4 wesentliche Punkte herausgearbeitet:
• Krankheit und Gesundheit werden im Sinne eines Kontinuums
gedacht und umfassen sowohl den Körper als auch die Seele.
• Politische und gesellschaftliche Umbrüche werden vom Menschen
als Stressfaktoren erlebt, auf die er aufgrund seiner Ressourcen
mit unterschiedlichen Strategien reagiert.
• Gesundheit und Krankheit sind mit Wertevorstellungen verbunden,
die berücksichtigt werden müssen.
• Es stellt sich die Frage, wie das Kohärenzgefühl zu stärken ist.

Petzold weist auf die entscheidende Bedeutung der Kommunikation zur Entwicklung des Kohärenzgefühls hin. Folgerichtig hat er eine „salutogene Kommunikation“ entwickelt.

Rituelle Körperhaltungen und Gesundheit

Die Bedeutung spiritueller Erfahrungen für seelische und körperliche Gesundheit sickert langsam, aber stetig auch in die Schulmedizin ein.
Früher reiste der Schamane in andere Wirklichkeiten, um Körper, Geist und Seele wieder in Balance zu bringen – eine Art von Kohärenz auf der damaligen Stufe von Bewusstseinsentwicklung. Auch er betrachtete Krankheit und Gesundheit als Kontinuum, in dem Körper und Seele untrennbar miteinander verbunden sind. Die Menschheit hat sich aus dieser Einheit gelöst, um sie bewusst auf einer höheren Stufe wieder zu erreichen.
Durch die Entdeckung von Felicitas Goodman und die Arbeit vieler engagierter Menschen seitdem können wir unsere Fähigkeiten ausbilden, uns in anderen Wirklichkeiten zu bewegen und diese Reisen heute eigenständig antreten.
Die ekstatische Trance während der rituellen Körperhaltungen können wir als eine Art „salutogener Kommunikation“ mit anderen Realitäten betrachten. Dazu zählen auch unsere Ahnen oder Tiergeister.
Für mich war die tiefe Versöhnung mit meiner verstorbenen Großmutter das stärkste Erlebnis in dieser Hinsicht.
Mit unserem heutigen geistigen Potential können uns die rituellen Körperhaltungen ein tieferes Verständnis der Lebenszusammenhänge bringen, uns in der Überzeugung bekräftigen, dass wir unser Leben gestalten können und uns den tieferen Sinn hinter allem erschliessen.
Sie stärken unsere Ressourcen, damit wir mit Stressfaktoren besser umgehen können.
Belinda Gore, eine Trainerin für rituelle Körperhaltungen aus den USA schreibt so treffend:
„Mit den rituellen Körperhaltungen können wir in unsere kollektive Vergangenheit eintauchen, um jene Weisheit kennen zu lernen, die zu unserem menschlichen Erbe gehört und sie in unser heutiges Wissen und Verständnis zu integrieren.“

Ich bin auch der Ansicht, dass es einen „globalen Attraktor“ gibt, ein Ziel der Evolution. Teilhard de Chardin bezeichnete ihn als „Punkt Omega“. Ihn gab es auch schon zu den Zeiten, in denen die Bewusstseinsfelder der Körperhaltungen entstanden sind. Sobald wir uns dorthin bewegen, kommen wir unter Umständen auch mit diesem Ziel in Berührung. Im Kontakt mit unserem Erbe begegnen wir auch der Zukunft, vielleicht noch nicht so weit gereift, wie sie sich heute manchen sehenden Menschen erschliesst.
Aber wir können auch da die Integrationsarbeit leisten, von der bei Belinda Gore die Rede ist.
Jeder Mensch hat seine spezielle Aufgabe im grossen Werk der Evolution und wird im Gewebe des Lebens bedingungslos unterstützt, sie zu erfüllen.
Der „persönliche Attraktor“ ist immer mit dem „globalen Attraktor“ verbunden. Leider ist vieles davon in Vergessenheit geraten.
Es ist bestimmt sehr gesund, sich daran zu erinnern.

Kunst und Medizin

Kunst und Medizin (Vortrag von Ulf Leonhard)

Kunst hat sich vom Ursprung her im Zusammenhang mit Kulten und Ritualen entwickelte. So entstanden Figuren, Masken, Tänze, Gesänge, Musikinstrumente oder Höhlenmalereien.
Auf alten Zeichnungen sieht man z.B. Schamanen, die in andere Bewusstseinsräume reisen. Wenn jemand erkrankte, suchte der Schamane in der geistigen Welt nach der Ursache, nach etwas, was aus dem Gleichgewicht geraten war und arbeitete dort, um wieder eine Balance herzustellen und damit Heilung zu erreichen.
Im Schamanismus waren also Kunst und Medizin noch ein richtiges Team. Auch heute gibt es noch das Wort „Heilkunst“. Hier wird Kunst im Sinne ihres Wortursprungs gebraucht, als Kenntnis, als Wissen, etwas was man beherrscht.
Die ärztliche Kunst ist die Lehre von der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen bei Menschen und Tieren.
Vor Hippokrates wurden in der ägyptischen, römischen und griechischen Medizin die Menschen noch in Tempel gebracht, um göttliche Heilwunder auszulösen. Er begründete dann eine neue Lehre, durch die man sich mit Hilfe von Diagnose, Therapie und Prognose von den Göttern unabhängig machte.
So entstand schließlich eine Schulmedizin, die rein materiell orientiert war, das objektiv Messbare wurde als Wirklichkeit angesehen.

Auch die Kunst entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte weiter und existierte schließlich nicht mehr in Funktionszusammenhängen, sondern wurde autonom, lebte aus sich selbst heraus – L`art pour l`art.

Viel weiter kann man sich eigentlich nicht voneinander entfernen.

Kunstbegriff heute:
„Im weiten Sinne eine kreative Tätigkeit und deren Ergebnis, die mit höchster Effizienz ausgeübt wird, d.h. mit minimalem Aufwand ein maximales Ergebnis erzielt.
Ärztlich ist die Kunst, wenn sie wirkungsvollere Wege findet als die gängigen Methoden, die Gesundheit zu erhalten oder sie wiederherzustellen.“

Warum ist die Verbindung von Kunst und Medizin, die Heilkunst heute wieder wichtig?

„Gesundheit erhalten“ – das ist mehr als Prophylaxe.
In schamanisch geprägten Kulturen empfanden sich die Menschen in ein lebendiges Gewebe eingebunden, welches alles umfasste. Diese Eingebundenheit zu festigen und zu erneuern war für sie Ausdruck und Garant für Gesundheit.
Die ökologischen und menschlichen Katastrophen unserer Zeit lassen sich nicht in den geistigen Strukturen lösen, die sie verursacht haben z.B. die Abtrennung vieler Lebensbereiche voneinander. So konnte es passieren, dass die Wirtschaft nach dem größten Profit strebt und Kosten einspart, indem sie die Umwelt belastet. Die Umwelt war ihnen egal. Irgendwann gab es zum Glück Mediziner, die bestimmte Krankheiten mit den Umweltsünden von Fabriken in Zusammenhang brachten. Wo vorher Trennung war, stellten sie Verbindung her.
d.h. wir brauchen das Bewusstsein über das Gewebe des Lebens, den Gedanken und die Erfahrung, dass alles Lebendige miteinander verbunden ist.
Das geschieht zum Glück bereits in vielen Bereichen von Wissenschaft, Kunst oder Politik.
Meine Frau kam schnell auf die Idee, ihre Physiotherapie mit Kindern dadurch zu bereichern, dass ich bestimmte Lieder sang oder zarte Melodien auf der Gitarre spielte. Das ist noch mal was anderes, als wenn man zum Üben eine CD auflegt. Durch diese Kombination können sich im Idealfall neue Innere Räume für ein Kind öffnen, die ihm erstaunliche Lernprozesse ermöglichen.
Beispiel Kind, das nicht auf den Boden will.
Junge, der sich oft nicht konzentrieren kann beim Üben. Feuerwehrmann Sam als Lieblingssendung, beim nächsten mal singe ich es vor und er macht begeistert mit. Es ist eine Verbindung entstanden zwischen verschiedenen Lebensbereichen, die vorher getrennt waren. Zudem hat er sich als wertvoll erlebt, ich mache mir die Mühe, das Lied zu lernen für ihn.

Ich bin weder ein Schamane noch ein Feind der Schulmedizin.

Wir brauchen den Zugang zu diesem Gewebe des Lebens, anderen Räumen, dort wo sich neue Welten gebären, wo wir uns als Individuum mit speziellen Aufgaben und Fähigkeiten in diesen Welten wieder finden können.

Das sind – auch im Sinne fortschrittlicher Denker in der Medizin – ganz tiefe Heilungsvorgänge.

Noch einmal: „Ärztlich ist die Kunst, wenn sie wirkungsvollere Wege findet als die gängigen Methoden, die Gesundheit zu erhalten oder sie wiederherzustellen.“

Ein Beispiel, das in den zweiten Teil überleitet:
Ein 14- jähriger Junge kommt zu meiner Frau, weil er nachts ins Bett pinkelt.
Sie stellt ihn in eine ungewöhnliche Haltung – den Medizinbären, der sich in Kunstwerken verschiedener Kulturen findet – und trommelt einen schnellen Rhythmus dazu. Von ihr vorher angeleitet, trifft er einen Adler als geistigen Verbündeten und Helfer. Er kommt in Kontakt mit inneren Quellen, da wo weder Sprache noch Bilder existieren.

Nach einigen Ritualen dieser Art ist er kein Bettnässer mehr, er hat sich einen Adler aus Holz geschnitzt und wenn seine Eltern streiten und sich anschreien, geht er ruhig in sein Zimmer, weil er jetzt weiß, dass das ihre eigene Angelegenheit ist. Er weiß es jetzt, ohne durch kognitive Prozesse gegangen zu sein. Er hat da nicht drüber nachgedacht, sondern es einfach gemacht.